Habt Ihr schon mal auf der falschen Seite einer Waffe gestanden? Ich bin ja der Meinung, dass es keine richtige Seite gibt, wenn es um Waffen geht, aber was ich jetzt gerade meine, ist die Seite, auf der das Projektil rauskommt. Die mit dem Loch.
Das ist ein völlig surreales Gefühl.
Damals™, als noch alles aus Holz war, war ich jung und wütend. Ich trug eine alte schwarze abgefetzte Motorradlederjacke vom Flohmarkt, ging fast jeden Abend auf Konzerte, ass ab und an in der Volxküche und trug einen mentalen Irokesenschnitt.
Nach einem extrem lauten und mittlerweile vergessenen Konzert im "Negativ" zog ich mit einer Zufallsbekanntschaft reichlich alkoholisiert über die Alte Brücke Richtung Innenstadt. Am hell erleuchteten Mainkai, vor den Fassaden der dort stehenden Häuser hing an jedem einzelnen Laternenpfahl ein Wahlplakat der Republikaner. Von der Brücke aus gesehen war die Postkartenansicht von Frankfurt mit Main vorne und Hochäusern hinten eine fette Kulisse für die baunen Plakate.
Es war nachts um zwei, die Straße leer, wir waren zu zweit, die Plakate hingen in einer Höhe, in der man alleine nicht dran kam... so kam eins zum andern, und nach dem dritten Laterenpfahl waren wir ziemlich eingespielt - Räuberleiter, rauf, Plakat runter, ab in den Busch damit, weiter zum nächsten Pfahl. Auf diese weise zogen wir zwei ziemlich angeheitert den Mainkai entlang und vollzogen unsere Auslegung von Stadtreinigung.
Was wir da noch nicht wussten: Wir wurden beobachtet.
Als wir uns bis kurz vor den Eisernen Steg vorgearbeitet hatten, kamen auf einmal zwei Gestalten in dunkler Kleidung auf uns zu - aus Richtung der dort vertäuten Ausflugsschiffe. Ich glaube, es war sogar die "Vaterland".
In einem Bruchteil einer Sekunde lief folgende Assoziationskette in meinem Kopf ab: Naziplakate - Vaterland - Naziveranstaltung - dunkle Gestalten - Nazis!!! Es bedurfte eigentlich nichts mehr weiter, um den Fluchtinstinkt auszulösen, aber dass die beiden Gestalten nun "Heyda!! Ihr!!! Was??!!" brüllten und zu rennen anfingen, machte es nur leichter - so schnell und vor allem so kopflos bin ich noch nie losgesprintet.
Meine Begleitung rannte neben mir, hinter uns die Schritte der Verfolger... wir flitzten Richtung Römerberg, Schirn, wobei wir uns in den kleinen Straßen zwischen Main und Römerberg befanden. An einer Ecke teilten wir uns auf, eher instinktiv, als irgendwie geplant. Ich rannte parallel zur Rückseite der Schirn... es ging eine Treppe rauf, kurz gerade aus, dann eine Treppe wieder runter und - "Halt!!!!" Ich rutschte ziemlich comicmässig noch einen Augenblick und schaute: Direkt in den Lauf einer Pistole. Dahinter ein ausgestreckter Arm, dahinter eine sichtlich angespannte Frau in dunkler Kleidung, die jetzt laut schrie: "Herbert, komm' her, ich hab' einen!!!"
In meinem Kopf herrschte einen Augenblick völlige Leere. Dann: Bewaffnete Nazis haben mich in einer der stillsten Ecken von Frankfurt gestellt. Fuck.
Während ich mich mit ausgestreckten Händen und Füssen an die Wand stellen musste, und die Frau begann, meine Taschen zu durchsuchen, kam mir nur ein "Wer seid Ihr denn?!!!" über die Lippen. "Maul halten" war erstmal die Antwort, aber nachdem sie keine Waffen oder waffenähnliche Gegenstände in meinen Taschen gefunden hatten, wurden die beiden sichtlich entspannter. Ganz im Gegensatz zu mir. "Wer seid Ihr denn?!!" wollte ich erneut wissen, und diesmal lautete die Antwort: "Wasserschutzpolizei". Ihr glaubt nicht, was mir in dem Moment für ein Stein vom Herzen gefallen ist. Hey, das sind gar keine nach Rache sinnenden Nazis, nein, das ist die Polizei, haha, dann ist ja alles gut. Dass ich gerade im Begriff war, wegen Sachbeschädigung und/oder Unfug oder was auch immer festgehalten und angezeigt zu werden - ha, egal, Hauptsache keine Nazis.
Sagte ich, dass ich reichlich betrunken war? Nun, das war schlagartig vorbei, als ich in den Lauf der Waffe blickte.
Die beiden nahmen mich mit auf Ihr Boot, um von dort aus, während ich vorne im Bug warten musste, einen Streifenwagen herbeizufunken. Das Boot hatte tatsächlich hinter der "Vaterland" festgemacht. Auf dem Weg dahin versuchte ich der Frau begreiflich zu machen, dass ich dachte, sie seien "Faschos", und wie froh ich sei, dass sie es nicht sind. "Fasching? Nee, is nich Fasching hier, das ist ernst", war ihre Antwort. Hm ja.
Auf meine Frage, ob sie denn immer mit gezogener Waffe hinter Leuten her rennen würden, die ein paar Plakate abmachten, bekam ich die Erklärung, dass man ja nicht wisse, mit wem man es zu tun hätte, und wenn jemand wegrennt, dann umso mehr... so halt. Hm ja. Übrigens waren sie mit dem Boot im Schritttempo neben uns hergefahren, während wir am Demontieren waren, und die Frau fand, dass wir uns sogar ziemlich geschickt angestellt hätten: "Die Dinger hingen ziemlich hoch!"
Die mittlerweile herbeigefunkte Streife versuchte dann vor allem eins: Sie wollten von mir wissen, wer denn der zweite gewesen wäre. Dummerweise konnte ich dazu nichts sagen, aber meine Angaben, dass ich den auf dem Konzert kennengelernt hätte, ausser dem Vornamen nicht wüsste, wie er heisst und auch sonst keine Angaben machen könnte, kamen nicht so gut an. Letztlich bekam ich noch einen Vortrag über Demokratie und "man kann ja von denen halten was man will, aber Plakate abmachen geht nicht". Meine Personalien wurden aufgenommen und dann durfte ich wieder gehen.
Sehr ernüchtert.
Und bis zum Umzug in eine andere Wohnung ein Jahr später hatte ich heimlich Angst vor Besuch von den Republikanern.
4 Reaktionen zu “The Barrel Of A Gun”
Das mit der Verhältnismäßigkeit war, glaube ich, eh immer nur ein Spass... Mir hätten bei einer ähnlichen Aktion (mein Konzert war eine Party) fast drei Faschos mal ordentlich aufs Maul gehauen, keine Ahnung, wie ich damals da raus gekommen bin...
Wußte gar nicht, dass der Entenschutz bewaffnet ist... Auf jeden Fall eine Erfahrung, die ich um nichts in der Welt teilen möchte.
@bueschel: ich habe damals nicht danach gefragt, ob die waffe noch gesichert war, ob sie sich nicht hätten vorher als polizei zu erkennen geben müssen. und die frage nach der verhältnismässigkeit kam mir erst tagge später in den kopf.
@robert: Darf ich Dir für "Entenschutz" eine Monitorreinigungsrechnung zusenden? :-)
Bitte ja :)
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