Das Beste, was ich bislang zu den Argumenten der Atomkraftbefürworter wie "Die Deutschen AKWs sind die sichersten der Welt" oder "Risiko gehört zum Leben" gelesen habe:

(...) Der Satz ist eine Tautologie. Das Leben ist immer ein Risiko. Gerade weil Risiken zum Leben gehören, besteht das Leben aus Risikoabwägungen. Die Perfidie des Satzes liegt in seiner Unterstellung, die Menschen müssten daran erinnert werden, dass es Risiken gibt. In Wahrheit ist mittlerweile das ganze Leben ein einziges Managen von Risiken, das beginnt, wenn man am Morgen die Haustür öffnet, und nicht endet, wenn man am Abend die Nachrichten schaut. Die Menschen des 21. Jahrhunderts leben in permanenter Risikoabwägung, nicht weil sie Sicherheitsfanatiker sind, sondern weil Risiken normativ geworden sind. Deshalb geht beispielsweise kaum noch jemand, ohne nach rechts und links zu sehen, über eine befahrene Straße. Dennoch gehen die Menschen über Straßen, wenn auch in der Regel nicht über Autobahnen. Ein Risiko eingehen heißt eben immer, sich Chancen auszurechnen. Die Heuristik, die Menschen anwenden, um derartige Risiken zu bewerten, hat Gerd Gigerenzer in anderem Zusammenhang definiert: „Vermeide Situationen, in denen viele Menschen zu einem Zeitpunkt ums Leben kommen.“ Der Satz „Risiko gehört zum Leben“ meint aber im Fall des Super-GAU: Du musst damit rechnen, dass du, deine Familie und womöglich deine Nachkommen eines Tages alle auf einmal überfahren werden. Das hat nichts mehr mit Risiken zu tun, sondern mit Schicksal, dem man sich nur noch ergeben kann. Die Chance der Atomkraft besteht so besehen nicht in billiger Energie, sondern in der Chance, dass der Super-GAU vorläufig nicht eintritt. (...)
Man muss unterscheiden zwischen dem Eintritt des GAU, der überall anders sein kann, und zwischen der Fähigkeit der Menschen, ihn danach in den Griff zu bekommen. Das eine ist die Ausnahme, das andere aber – wie wir jetzt zum dritten Mal sehen – die Regel. Fukushima zeigt, dass Menschen im GAU atomare Prozesse, die sie eingeschaltet haben, nicht abschalten können. Das aber ist eine Erkenntnis von normativer Qualität: Was wir in Fukushima sehen, kann überall auf der Welt passieren.

- Frank Schirrmacher, F.A.Z.: Rhetorik und Realität - Die neun Gemeinplätze des Atomfreunds